Wasserstoff in der Mobilitätswende
Jubiläums-Veranstaltungsreihe: Future on Stage
Auftaktveranstaltung am Campus Lingen
Wie wird die Gesellschaft zukünftig leben, arbeiten, sich fortbewegen, alt werden und sich ernähren? Diese gesellschaftlichen Fragen gilt es mitzugestalten. Dafür diskutieren Wissenschaftler*innen an allen Standorten der Hochschule mit Studierenden, Promovierenden und Expert*innen aus der Praxis in der Veranstaltungsreihe „Future on Stage“.
„Ist Wasserstoff tatsächlich der lang ehrsehnte heilige Gral der Mobilitätswende?“ Mit dieser Frage eröffnet Moderatorin Kora Blanken die Diskussion zum Thema „Wasserstoff als Schlüsselelement der Mobilitätswende – Welches Potenzial hat er?“ als Auftakt der Future on Stage-Veranstaltungsreihe. Auf der Bühne am Campus Lingen sprechen Prof. Dr. Anne Schierenbeck, Prof. Dr. Hans-Jürgen Pfisterer, die Masterstudentin Lea Diekmann von der Hochschule Osnabrück, Dr. Tim Husmann von der H2-Region Emsland, Dr. Wolf-Peter Schill vom Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung und Stefan Engelshove von Siemens Energy über die Vor- und Nachteile und die verschiedene Einsatzgebiete der Technologie.
Warum ist Wasserstoff aktuell in aller Munde? Die Europäische Kommission will die Europäische Union zur Vorreiterin beim Einsatz von Wasserstoff als Energieträger machen, die deutsche Bundesregierung hat im Juli 2020 ihre Wasserstoffstrategie vorgestellt. Und auch viele Unternehmen beschäftigen sich mit dem Thema, so Dr. Tim Husmann von der H2-Region Emsland, einem Zusammenschluss von Wasserstoffakteuren in der Region Emsland: „Das Hauptargument, sich in der freien Marktwirtschaft mit neuen Themen oder Technologien auseinanderzusetzten, ist immer der Preis. Wenn wir eine Dekarbonisierung (Anm. der Redaktion: Reduzierung von Kohlendioxidemissionen durch den Einsatz kohlenstoffarmer Energiequellen) des Systems vorantreiben wollen, dann kostet das Geld. Aufgrund von zum Beispiel fehlender Bepreisung von CO2-Ausstößen, war es lange wirtschaftlich uninteressant sich mit dem Thema Wasserstoff auseinanderzusetzten. Das ändert sich aktuell.“ Auch Lea Diekmann, Masterstudentin im Fach Energiewirtschaft am Campus Lingen, sieht die größten Impulse beim Thema Wasserstoff gerade in der Wirtschaft, nicht der Politik: „Wir können jetzt schon die Auswirkungen des Klimawandels sehen und spüren, aber trotzdem haben viele Menschen meiner Generation das Gefühl, dass ihre Sorgen in Bezug auf den Klimawandel von der Politik nicht gehört werden. Wenn der Impuls zum Wandel also nicht aus der Politik kommt, dann kann er vielleicht in diesem Fall tatsächlich aus der Industrie kommen.“
Dabei sind sich die Expert*innen einig, dass Wasserstoff sehr viele Vorteile bietet: „Wir stehen im Angesicht des Klimawandels vor der großen Herausforderung, unser Energiesystem zu dekarbonisieren und dafür eignet sich Wasserstoff ganz hervorragend. Wasserstoff ist eine Möglichkeit, erneuerbaren Strom zu speichern und sehr energieintensiven Industrien, wie beispielsweise die Stahlerzeugung, kohlenstofffrei zu gestalten“, sagt Prof. Dr. Anne Schierenbeck, Professorin für Energiewirtschaft am Campus Lingen.
„Wasserstoff ist kein Allheilmittel“
Allerdings sei es bis dahin noch ein weiter Weg. „Wir haben einen sehr hohen Investitionsbedarf entlang der gesamten Wertschöpfungskette“, betont Dr. Wolf-Peter Schill vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Denn nur sogenannter Grüner Wasserstoff trage zur Dekarbonisierung bei, so Prof. Dr. Hans-Jürgen Pfisterer, Professor für Elektrische Antriebe und Grundlagen an der Hochschule Osnabrück. Für die Herstellung von grünem Wasserstoff wird ausschließlich Strom aus erneuerbaren Energien eingesetzt. Diese Produktion von Wasserstoff ist daher CO2-frei. Im Gegensatz dazu wird Grauer Wasserstoff aus fossilen Brennstoffen gewonnen. Bei der Herstellung entsteht also Kohlendioxid (CO2). Außerdem sei Wasserstoff kein Allheilmittel, unterstreicht Pfisterer: „Wasserstoff ist sicherlich eine wichtige Komponente in der Energiewende, aber Wasserstoff ist nicht überall einsetzbar. Man muss auch für jede Anwendung entscheiden, ob der Einsatz von Wasserstoff sinnvoll ist und ob sich so tatsächlich CO2 einsparen lässt.“ Eine Fokussierung ist zwingend notwendig, auch in diesem Punkt herrscht Einigkeit. „Wenn wir beliebig viel Zeit, Geld und erneuerbare Energien hätten, dann könnten wir auch alles mit Wasserstoff machen. Aber wir haben nur einen begrenzten Zeitraum, der uns zur Verfügung steht – bis spätestens 2045 soll die Klimaneutralität erreicht sein. Es ist praktisch ausgeschlossen, dass wir bis dahin grünen Wasserstoff in ausreichenden Mengen zu günstigen Preisen zur Verfügung haben und deswegen ist die Fokussierung so wichtig“, erläutert Schill.
Einsatzgebiet Industrie
„Natürlich müssen wir auch im Bereich Gebäude, Energieversorgung und Mobilität CO2 einsparen. Aber besonders die Industrie hat hier einen großen Anteil. Daher wird die Industrie das erste Anwendungsgebiet für Wasserstoff sein“, sagt Stefan Engelshove von Siemens Energy. Den Einsatz von Wasserstoff im Bereich Mobilität, sowohl im Individualverkehr als auch in der Logistik, sehen die Teilnehmenden dagegen kritisch. „Wir werden gigantische Wasserstoffbedarfe in der Industrie haben und die Mengen an Wasserstoff, die wir 2030 zur Verfügung haben, werden nicht dafür ausreichen, auch noch den Bedarf in der Mobilität abzudecken. Wir müssen uns daher gut überlegen, wo wir sie am effektivsten einsetzen. Außerdem haben wir Zeitdruck. Wir müssen jetzt schnell dekarbonisieren. Und im Fall der individuellen Mobilität ist die direkte Elektrifizierung viel effizienter als Wasserstoff“, erklärt Schierenbeck.
Wasserstoff ist also nicht der „lang ersehnte heilige Gral“, aber eine wichtige Komponente auf dem Weg in eine dekarbonisierte Zukunft. Zudem muss noch viel investiert werden, um den Einsatz effizient und nachhaltig zu gestalten. Die verschiedenen Expert*innen betonten dabei immer wieder die Bedeutung von grüner, CO2-armer Energie.
Die spannende Podiumsdiskussion kann in voller Länge auf dem YouTube-Kanal der Hochschule angeschaut werden.