Fair Future
Stand der Forschung
Stand der Forschung
Der effektive und wertschätzende Umgang mit Vielfalt (insbes. bezgl. kultureller Hintergründe, Alter, Geschlecht) stellt eine wichtige Voraussetzung für Innovation, Wettbewerbsfähigkeit und Resilienz in der heterogenen europäischen Gesellschaft während und nach der Corona-Krise dar (Genkova et al., 2019; European Commission, 2021b). Organisationen nutzen Diversity-Management im Allgemeinen, um Diskriminierung zu reduzieren und Synergien und Kreativität durch produktive Intergruppenbeziehungen zu fördern. Durch die empfundene Bedrohung der Gesundheit, die Abnahme von Intergruppenkontakt sowie die Verbreitung fremdenfeindlicher, angstfördernder Narrative haben sich die Perspektiven und Motive der beteiligten Individuen auf Diversität in der Corona-Pandemie jedoch teilweise verändert (Ellingrud et al., 2020). Die Ergebnisse der Antragstellerin zeigen, dass instrumentelle Überzeugungen hinsichtlich Diversität (Diversity-Beliefs) für viele Menschen im ersten Jahr der Corona-Pandemie weniger relevant waren, während subjektiv empfundene Bedrohungen, Vorurteile und Autoritarismus die Intergruppenbeziehungen stärker beeinflussten (Genkova & Schreiber, 2020). Gleichzeitig erleben Personen mit Diversitätscharakteristika (insbes. Migrationshintergrund, Frauen, ältere Mitarbeitende) eine noch stärkere Benachteiligung. Gründe dafür sind Überrepräsentation in gefährdeten Branchen, weniger Ressourcen, um Restriktionen zu überbrücken oder sich anzupassen, und neue Formen von Mobbing, z. B. durch Ausschluss aus digitalen Meetings (vgl. Milliken et al., 2020). In ihrem Bericht zu den Folgen der Corona-Pandemie kommt die europäische Kommission daher zu dem Schluss, dass sich die Grundvoraussetzungen für das Diversity-Management in Europa nachhaltig verändert haben (European Commission, 2021c). Unternehmen und Institutionen stehen aus diesem Grund vor der Herausforderung, neue Herangehensweisen und Paradigmen zu entwickeln, um Wertschätzung und Effizienz nachhaltig sicherzustellen. Erste Berichte zu dieser Thematik zeigen, dass viele Akteur*innen bereits versuchen, den sich verschlechternden Intergruppenbeziehungen und der Benachteiligung entgegenzuwirken (Ellingrud et al., 2020; European Commission, 2021c). In einer umfangreichen Studie in europäischen Unternehmen stellte sich jedoch heraus, dass klassische Werkzeuge des Diversity-Managements die sich verändernden Lebenswelten, Motive und Perspektiven, die hinter Spaltungs- und Radikalisierungstendenzen stehen, oft nicht mehr adäquat ansprechen (Ellingrud et al., 2020).
Nach vorangegangenen Krisen (z. B. Geflüchteten-Krise) verringerten sich Fremdenfeindlichkeit und Separationsbestrebungen in Mittel- und Westeuropa sowie Amerika erst nach mehreren Jahren, wenn überhaupt (Hofmann, 2016). Es ist daher wahrscheinlich, dass viele der aktuellen Herausforderungen langfristig weiterhin bestehen. Die Diversity-Forschung konnte diese Veränderungen in Europa bisher nicht ganzheitlich erfassen, kultursensibel analysieren oder anwendungsorientierte Lösungen ableiten. Gleichzeitig unterscheiden sich die Herausforderungen für Unternehmen in Europa, sodass die bestehenden Erkenntnisse aus deutscher oder amerikanischer Forschung nicht ohne Weiteres nach Mittel- und Südosteuropa transferiert werden können (Genkova, 2019). Beispielsweise unterscheiden sich politische und organisationale Reaktionen sowie ökonomische und soziale Konsequenzen der Corona-Pandemie, aber auch demografische Voraussetzungen (z. B. Emigration als Herausforderung in Osteuropa; European Commission, 2021c).