Wissenssnack Mittwoch, 7. Februar 2024

Kann man Spritzen, Katheter und Co. recyclen?

Nele Zerhusen promoviert an der Hochschule im Bereich Kunststofftechnik und forscht zu Recycling von Medizinprodukten aus Kunststoff.

Täglich sind wir von spannenden Wissenschaftsthemen umgeben. Mit dem Format „Wissenssnack“ möchten wir aktuelle wissenschaftliche Themen näher beleuchten und mit unseren Expert*innen an der Hochschule Osnabrück zusammen beantworten.

In Krankenhäuser und Praxen entsteht viel Müll durch Spritzen, Katheter o.ä., aber auch durch Verpackungsmaterialien, die für eine einwandfreie Hygiene notwendig sind. Wegen der Kontaminationsgefahr werden diese Abfälle derzeit in den meisten Kliniken und Praxen nicht recycelt, sondern verbrannt.
Dabei sind laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) rund 85 Prozent der Krankenhausabfälle prinzipiell recycelbar - sie sind nicht infektiös, ihre Wiederverwertung ist unproblematisch. Gerade bei Medizinprodukten aus Kunststoff könnten so viele Ressourcen eingespart werden.

Nele Zerhusen promoviert an der Hochschule im Bereich Kunststofftechnik und forscht genau an diesem Zukunfsthema. Über ihre Forschung spricht sie mit uns im folgenden Interview.

 

Warum wird so viel Kunststoff in der Medizin verwendet?

Früher wurde Glas verwendet. Neben Glasbruch birgt die Wiederverwendung von Glasgeräten ein hohes Infektionsrisiko. Durch die Verwendung von Einwegartikeln aus Kunststoff seit den 50er Jahren konnte das Infektionsrisiko deutlich reduziert werden. Mit modernen Sterilisationsmethoden kann heute sichergestellt werden, dass Kunststoffe supersteril, also frei von vermehrungsfähigen Mikroorganismen sind. Darüber hinaus lassen sich die Eigenschaften von Kunststoffen sehr gut einstellen und an spezielle Anforderungen anpassen: Sie können stabil und unzerbrechlich, aber auch weich und flexibel sein.

Kann dieser Kunststoff wiederverwendet werden?

Theoretisch ja. Aber in der Medizintechnik gibt es bisher kein Recycling, zum einen aufgrund der Kontamination durch den Kontakt mit Patient*innen und Medikamenten. Zum anderen wäre es für die Krankenhäuser mit großem Aufwand verbunden. Die Krankenhäuser müssten anfangen, die Abfälle zu trennen: Welche Abfälle hatten Kontakt zu Patient*innen, welche nicht? Welche hatten nur Kontakt zu weniger gefährlichen Medikamenten? Und bisher gibt es einfach viel zu wenig Daten. Wir wissen also nicht genau, was mit den Kunststoffen passiert. Ohne diese Daten kann kein geschlossener Rohstoffkreislauf aufgebaut werden - erst recht nicht, wenn die Produkte später wieder in der Medizintechnik eingesetzt werden sollen.

Welche besonderen Anforderungen gibt es für Kunststoffe, die in der Medizin eingesetzt werden?

Kunststoffe in der Medizintechnik sind streng reguliert. Es dürfen nur ganz bestimmte Substanzen rein, mit denen wir viel Erfahrung haben, damit man gewährleisten kann, dass es keine Gefahr für die Patient*innen darstellt. Die Kunststoffe müssen auch sterilisiert werden - das ist noch einmal „sauberer“ als zu desinfizieren. Das wird mit speziellen Gasen, über das Autoklavieren, also mit Temperatur und Druck, oder mit ionisierender Strahlung erreicht. Das ist natürlich eine Herausforderung für den Kunststoff.

Wie sieht die aktuelle Forschung der Hochschule zu diesem Thema aus?

Konkret beschäftige ich mich damit, Daten zu generieren, die für die Medizintechnik wichtig wären, um einen geschlossenen Recyclingkreislauf zu ermöglichen. Dazu simulieren wir, was ein Kunststoffprodukt in diesem Fall erleben würde. Das machen wir auf der Basis des Standardkunststoffs Polypropylen. Daraus werden zum Beispiel Spritzen hergestellt. Es werden jährlich ca. 15 Milliarden Einmalspritzen hergestellt, das entspricht circa zwei Spritzen pro Person auf der Welt. Wenn man bedenkt, wie viele Menschen es auf der Erde gibt, sind das eine ganze Menge Spritzen und Verpackungsmaterial. Wir simulieren den Recyclingzyklus, also die mehrfache Verarbeitung und dann zusätzlich die Bestrahlung mit ionisierender Strahlung, um dann im Anschluss das Material zu analysieren. Wie verändert sich die Zusammensetzung des Materials? Sind die Zusatzstoffe noch vorhanden? Ändern sich die Eigenschaften des Kunststoffs selbst? Das simulieren wir und hoffen, dass man dann, wenn man Daten und Erfahrungswerte hat, vielleicht irgendwann in der Zukunft die Kunststoffe aus den Krankenhäusern recyceln kann.

 

Nele Zerhusen im Interview gibt es in diesem Video.

Von: Justine Prüne