Wissenssnack: „Diskriminierung ist Teil unseres Alltags“ Montag, 13. Januar 2025

Dr.in Lisa Tometten ist Psychologin und forscht im Projekt Vielfaltsdiskurse an der Hochschule Osnabrück. Foto:Hochschule Osnabrück

Im Interview zum Wissenssnack „Wer diskriminiert, ist böse. Stimmt das?“, erläutert Wissenschaftlerin Dr.in Lisa Tometten, wie es dazu kommt, dass wir andere diskriminieren, ohne es zu wollen und wie wir das ändern können.

Außerdem erklärt die Psychologin und Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsprojekt „Vielfaltsdiskurse“, wie wir gut damit umgehen und was zu tun ist, wenn wir selber oder Menschen in unserem Umfeld diskriminiert werden.
Das Projekt wird geleitet von Prof. Dr. Petia Genkova (Kompetenzzentrum Globale Kompetenz der Hochschule Osnabrück) und gefördert durch das Niedersächsische Ministerium für Wissenschaft und Kultur.

Hochschule: Sind Menschen, die andere diskriminieren, böse?

Lisa Tometten: Nein, nicht unbedingt. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes definiert Diskriminierung unabhängig von einer bösen Absicht. Das bedeutet, Diskriminierung kann durchaus in böser Absicht geschehen, muss es aber nicht. Und sie verletzt auch unabhängig davon. Diskriminierung hat verschiedene Dimensionen: Individuell, strukturell, institutionell und historisch. Damit geht sie weit über Einzelsituationen hinaus. Wir alle leben in diskriminierenden Strukturen und haben diese verinnerlicht.

Sie sagen, wir diskriminieren nicht aus böser Absicht, sondern wachsen mit Diskriminierung auf und tragen sie deshalb in uns. Können Sie das an einem Beispiel erläutern?

Diskriminierung kann aufgrund verschiedenster Merkmale geschehen und ist Teil unseres Alltags. Das zeigt sich an Kleinigkeiten, die uns meistens gar nicht bewusst sind. Zum Beispiel werden viele Schwarze Menschen und People of Color mit der Frage „Wo kommst du her?“ und dann im Anschluss „Osnabrück? Nein, wo kommst du wirklich her?“ konfrontiert. Das ist ein Problem, weil dahinter die Annahme steht, dass sie nicht deutsch sind, anders sind und nicht dazu gehören. Obwohl die Frage in einigen oder vielleicht sogar vielen Fällen nett gemeint ist und aus Neugierde geschieht, ist sie ein Beispiel dafür, wie wir nur aufgrund des Aussehens einer Person auf ihre Herkunft schließen und eine Unterscheidung zwischen dazugehörig und nicht dazugehörig treffen. Daneben gibt es unzählige weitere Beispiele, die alle eins gemeinsam haben: Sie betonen ein bestimmtes Merkmal und konstruieren die Person als anders, nicht dazugehörig und nicht normal.

Ihre Aufgabe im Forschungsprojekt ist unter anderen, zu beobachten, wie öffentlich über Diversität und Diskriminierung gesprochen wird. Was beobachten Sie?

Die Zahl der Veröffentlichungen mit den Stichworten Diversität und (Anti-) Diskriminierung ist sowohl im wissenschaftlichen als auch öffentlichen Bereich stark angestiegen. Meine Recherche in der wissenschaftlichen Datenbank „Web of Science“ und den Online-Archiven der New York Times und Frankfurter Allgemeinen Zeitung zeigt wie erwartet: Die Anzahl der erschienenen Artikel steigt kontinuierlich an.

Welche Herausforderungen gehen damit einher?

Dazu gehören negative Konsequenzen und Hassnachrichten für Wissenschaftler*innen, die ihre Forschung teilen, und die Neigung von Personen nur solche Informationen anzunehmen, die ihren bisherigen Erwartungen und Einstellungen entsprechen. Darüber hinaus tragen betroffene und nicht-betroffene Personen unterschiedliches Wissen und auch unterschiedliche Emotionen in die Debatte. Wissenschaftler*innen, die wütend sind, werden zum Beispiel als weniger glaubwürdig und seriös wahrgenommen. Diskriminierung kann aber verständlicherweise sehr wütend machen und dadurch entsteht ein ungleiches Machtverhältnis in Diskussionen.

Wenn ich einsehen kann, dass ich selber diskriminiere, ist der erste Schritt getan, aber wie merke ich überhaupt, dass ich andere diskriminiere?

Der wichtigste Punkt ist, sich zu informieren. Es gibt viele tolle Bücher, Filme, Dokumentationen, Podcasts, Instagram-Kanäle und so weiter, in denen Diskriminierung erklärt wird und in denen Betroffene von ihren Erfahrungen berichten. Je mehr ich mich damit beschäftige, desto eher bin ich in der Lage Diskriminierung im Alltag bei mir und bei anderen zu erkennen. Darüber hinaus kann ich offen für Feedback sein und deutlich machen, dass es mir wichtig ist, mich gegen Diskriminierung einzusetzen. Wenn mir jemand rückmeldet, dass ich etwas Diskriminierendes gesagt oder getan habe, sollte mein erster Impuls nicht sein, das Feedback wütend abzuschmettern. Stattdessen kann ich sagen: „Vielen Dank für die Rückmeldung. Kannst du/können Sie mir erklären, warum das diskriminierend war und wie ich es in Zukunft anders machen kann?“ So können wir alle voneinander lernen.

Nun gibt es auch Menschen, die andere absichtlich diskriminieren, vielleicht aus Angst oder um sich einen Vorteil zu verschaffen. Was sollte ich tun, wenn ich so etwas miterlebe?

Wenn es meine Ressourcen zulassen, sollte ich mich aktiv dagegenstellen und Solidarität mit den Betroffenen äußern. Es kann für viele Betroffene sehr entlastend sein, wenn sie nicht die einzigen sind, die „schon wieder“ etwas dagegen sagen und damit auch riskieren, die eigentlich gute Stimmung zu verderben und jemanden vor den Kopf zu stoßen. Das erfordert auf der anderen Seite sehr viel Feingefühl, um nicht über die betroffene Person hinweg zu handeln, sondern mit ihrem Einverständnis.

Und wie verhalte ich mich am besten, wenn ich selber diskriminiert werde?

Auch hier gilt: Die eigene Sicherheit und die eigenen Ressourcen sind entscheidend dafür, ob ich in der Situation selbst handeln möchte oder kann. Außerdem kann ein Austausch mit anderen Betroffenen oder Vertrauenspersonen helfen. Wer nachträglich aktiv werden möchte, kann hilfreiche Informationen auf der Website der Antidiskriminierungsstelle des Bundes finden.

Das Reel zum Wissenssnack auf Instagram: Menschen, die diskriminieren, sind böse. Stimmt das?

Von: Isabelle Diekmann