Erfahrungsbericht: Mit dem dualen Studium hoch hinaus Freitag, 4. März 2022
Anna Lena Schmitz studiert dual Wirtschaftsingenieurwesen am Campus Lingen und berichtet im Interview von ihren Erfahrungen im dualen Studium – angefangen von der Studienwahl über den Bewerbungsprozess bis hin zu Aufgaben in den Praxisphasen. Außerdem knüpft sie sich Vorurteile über ihren Fachbereich vor.
Schmitz ist 21 Jahre alt und studiert im 4. Semester am Institut für Duale Studiengänge am Campus Lingen. Ihr duales Studium ist im Blockmodell angelegt, sodass sie etwa alle drei Monate zwischen Theoriephasen an der Hochschule und Praxisphasen bei ihrem Kooperationsunternehmen GE Wind Energy, einem führenden Hersteller von Windkraftanlagen, wechselt. Neben ihrem dualen Studium absolviert sie eine Ausbildung zur Industriekauffrau. Am Ende ihres Studiums erhält sie auf diese Weise zwei Abschlüsse: den Bachelor of Engineering und die staatlich anerkannte Berufsausbildung.
Warum haben Sie sich entschieden, eine Ausbildung mit Ihrem Studium zu kombinieren und wie bewerten Sie diese Möglichkeit?
Schmitz: Ich persönlich wollte mit der Ausbildung meine kaufmännische Perspektive etwas stärken, da sich der Studiengang zu zwei Dritteln aus mathematischen, naturwissenschaftlichen und technischen Inhalten zusammensetzt. Natürlich hätte ich auch eine Ausbildung im technischen Bereich, wie zum Beispiel zur Mechatronikerin, kombinieren können.
Ich finde es auch wirklich toll, dass es die Möglichkeit der Kombination des dualen Studiums und einer Ausbildung gibt. Ich würde jeder Person empfehlen, das Angebot anzunehmen. Die beiden Abschlüsse helfen einem auf jeden Fall in der Zukunft weiter.
Wenn Sie an die Zeit vor Ihrem Studium zurückdenken, warum haben Sie sich für den Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen entschieden?
Schmitz: In der Schule hat mich schon immer Technik fasziniert und ich habe gerne mit unterschiedlichen Materialen herumgewerkelt. Deswegen habe ich sehr viele Praktika in verschiedenen Ingenieurberufen und auch bei einem Anwalt absolviert. Letztendlich habe ich für mich herausgefunden, dass der Bereich des Wirtschaftsingenieurwesens die passende Schnittstelle zwischen Technik/Ingenieurwesen und Wirtschaft bietet, da ich auf den kaufmännischen Bereich nicht komplett verzichten wollte.
Meine Entscheidung hat sich auch direkt im ersten Semester als die Richtige erwiesen. Ich hatte Spaß an den Modulen, da wir dort erst die Grundlagen erlernt und darauf immer weiter aufgebaut haben. Durch die ingenieurwissenschaftlichen Module habe ich z. B. auch den Aufbau der Windenergieanlagen aus meinem Kooperationsunternehmen verstanden.
Warum haben Sie sich für ein duales Studium entschieden und warum am Campus Lingen?
Schmitz: Meine Schule hat mir damals angeboten, ein „duales Praktikum“ zu absolvieren. Da konnte ich eine Woche in einem Betrieb arbeiten und in der anderen Woche Vorlesungen besuchen. Während der Vorlesungen saß ich dann in einem sehr großen Raum mit 400 anderen Menschen. Dabei habe ich gemerkt, dass ich mir das für meine Zukunft nicht vorstellen kann. Ich finde, so lernt man schlecht andere Menschen kennen und studiert sehr anonym.
Am Campus Lingen ist das ganz anders. Hier habe ich das persönliche Miteinander und kenne teilweise auch die wissenschaftlichen Mitarbeitenden. Wir haben ein cooles Mentor*innenteam, das (außerhalb der Corona-Pandemie) lustige Veranstaltungen organisiert. Außerdem kenne ich jetzt Menschen, die in verschiedenen Unternehmen arbeiten. Auf diese Weise bauen wir Studierende direkt ein Netzwerk auf. Das Alles empfinde ich persönlich als sehr schön und angenehm.
Wie haben Sie Ihr Bewerbungsverfahren empfunden?
Schmitz: Ich habe mich bei verschiedenen Unternehmen beworben und sehr unterschiedliche Bewerbungsverfahren erlebt. Bei meinem Kooperationsunternehmen GE Wind Energy bestand das Bewerbungsverfahren aus einem Assessment Center, zu dem ich nach meiner Bewerbung eingeladen wurde. Dort gab es erst Einzelgespräche mit einer Selbstpräsentation. Anschließend musste ich mit anderen Bewerber*innen Gruppengespräche führen und verschiedene Aufgaben lösen. In den Pausen hatten wir die Möglichkeit, mit den dual Studierenden des Unternehmens über das Studium zu reden. Das war für mich sehr wertvoll, da ich Erfahrungen aus erster Hand bekommen habe. Ich habe mich direkt sehr willkommen gefühlt.
Welche Abteilungen haben Sie bereits in Ihrem Kooperationsunternehmen durchlaufen und was waren dort Ihre Aufgaben?
Schmitz: Ich habe bisher drei Abteilungen durchlaufen – Project Controls, Service und Logistik. Die Abteilung Project Controls plant alle Projekte von Anfang bis Ende. Entsprechend durfte ich dort Zeitpläne für die Errichtung von Windkraftanalagen erstellen. Bei der Erstellung der Zeitpläne gehört dazu, einzukalkulieren, zu welchem Zeitpunkt welche Maschinen, Bauteile und Personen auf den Baustellen sein müssen. Dabei müssen wir auch immer Verzögerungen berücksichtigen und dokumentieren, denn wenn beispielsweise ein Bauteil nicht passend ankommt, verschiebt sich das gesamte Projekt.
Im Rahmen meines Einsatzes in der Service-Abteilung war ich in ganz Deutschland unterwegs und habe die Inbetriebnahme der verschiedenen Windkraftanlagen begleitet. Außerdem habe ich an der Einsatzplanung der Servicetechniker*innen teilgenommen und die eingesetzten Koordinationsmethoden analysiert, da die genutzten Tools vereinheitlicht werden sollten. Darauf aufbauend habe ich Verbesserungsvorschläge erarbeitet.
In meiner letzten Praxisphase war ich in einem Team eingesetzt, das die Transporte der Bauteile vom Hafen zu den Baustellen geplant hat. Dort wurden technische Zeichnungen angefertigt, damit die Transportfahrzeuge sicher zum Zielort kommen. Dazu gehört zum Beispiel, wie eine Kurve ausgebaut werden muss, damit der LKW mit dem Rotorblatt dort herumkommt. Ich selbst habe auch einzelne Transporte begleitet und einen Eindruck bekommen, wie komplex diese Transportaufgabe ist.
Ich bin sehr dankbar, dass ich in der Zeit bei GE schon so viel sehen und mitmachen durfte. Vor Kurzem habe ich mein erstes Höhen-Sicherheits-Training erhalten, weil ich in meiner nächsten Abteilung auch viel auf Baustellen unterwegs sein werde.
Inwieweit hat sich Ihr Arbeits- und Studierendenleben durch die Corona-Pandemie verändert?
Schmitz: Im Arbeitsleben fehlt je nach Abteilung der enge Kontakt untereinander. Durch das Homeoffice ist es nicht möglich, den Kolleg*innen einfach über die Schulter zu gucken und Einblicke in ihren Arbeitsalltag zu erhalten. Normalerweise treffen wir uns mit allen dual Studierenden und Auszubildenden im Unternehmen jeden Monat zu einem Update-Meeting. Das kann derzeit nur online stattfinden. Ich freue mich, wenn wir wieder zur Präsenz zurückkehren, weil ich dann mehr Teamspirit verspüre.
Auch das Hochschulleben hat sich aufgrund der Pandemie geändert. Ich habe im letzten November das erste Mal gemerkt, wie es wirklich ist, in der Hochschule zu sitzen. Davor habe ich nur Online-Lehre kennengelernt. Das war richtig schön, in der Hochschule zu sein, allein schon, da ich zwischendurch mit meinen Kommiliton*innen und anderen Studierenden reden und mich austauschen konnte. In der Online-Lehre fehlt mir das sehr. Irgendwann wird das auch schon anstrengend, wenn man von morgens bis abends die ganze Zeit allein Zuhause vorm Laptop sitzt – gerade, wenn die Prüfungen näherkommen. Manche finden das angenehm – ich persönlich bevorzuge den persönlichen Kontakt und bin gerne am Campus.
Wenn Sie aus heutiger Sicht auf Ihr Studium zurückblicken, wie gefällt Ihnen Ihr Studium und was gefällt Ihnen besonders?
Schmitz: Was mir sehr gut gefällt, ist die Mischung aus wirtschaftlichen und ingenieurwissenschaftlichen Themen. Ich finde vor allem die Mathematik dahinter sehr faszinierend, also die Herangehensweise von Berechnungen und welche Faktoren zu berücksichtigen sind. Auch die Erfahrungsberichte der Lehrenden sind etwas ganz Besonderes. Einige von ihnen können viel Spannendes aus ihrem Berufsleben erzählen – passend zu dem, was sie gerade vermitteln. Das stärkt den Theorie-Praxis-Transfer. Das liebe ich am dualen Studium – ich weiß immer direkt, wofür ich das Wissen gebrauchen kann.
Wie bei jedem Fachbereich, gibt es auch in Bezug auf Wirtschaftsingenieurwesen einige Vorurteile. Was sagen Sie dazu, dass manche über Wirtschaftsingenieur*innen sagen, dass sie wegen der Mischung aus Wirtschaft und Ingenieurwesen nur die Hälfte wissen?
Schmitz: In gewisser Weise stimmt das natürlich. Wir sind keine vollausgebildeten Ingenieur*innen, die die Anlagen allein konstruieren können, aber dafür ist das Studium ja auch nicht gedacht. Wir werden bewusst zu Schnittstellenexpert*innen zwischen Wirtschaft und Ingenieurwesen ausgebildet und dort liegt unsere Kompetenz.
Wie reagieren Sie auf das Vorurteil, dass Wirtschaftsingenieurwesen nur Männer studieren?
Schmitz: Das stimmt meiner Meinung nach überhaupt nicht! Es kommt auf die Interessen und nicht auf das Geschlecht an. Ich würde mich nie vom Geschlecht abhalten lassen, das zu studieren, was mich interessiert. Das Vorurteil habe ich tatsächlich auch schon oft im Privaten gehört, wenn ich erzählt habe, dass ich Wirtschaftsingenieurwesen studiere. Für mich ist das selbstverständlich, dass der technische Bereich für Frauen und generell für alle Menschen offen ist.
Sie haben jetzt schon einen guten Einblick in das Studium erhalten. Was würden Sie sagen, sollte man für das Studium des Wirtschaftsingenieurwesens mitbringen?
Schmitz: Es heißt ja immer, dass man super gut in Mathe sein muss. Das stimmt zum Teil auch – ein gewisses mathematisches Grundverständnis sollte auf jeden Fall vorhanden sein. Meiner Meinung nach kommt es aber auf das Interesse und die Bereitschaft einer Person an, sich in eine Sache hineinzuknien. Natürlich ist es schwieriger, wenn eine Person nicht so gut in Mathe ist, aber wenn sie dementsprechend viel lernt, kann sie es auch schaffen. Der Biss und der Wille, das Studium durchzuführen, ist das Wichtigste, was man für das Studium mitbringen sollte.
Wenn Sie Richtung Abschluss und Zukunft schauen, wie sieht Ihr Plan dann aus? In welchem Bereich möchten Sie nach Ihrem Abschluss arbeiten?
Schmitz: Zurzeit tendiere ich zum Schwerpunkt Projektmanagement, weil ich während der Praxisphasen viel in diesem Bereich gearbeitet habe. Ich finde es einfach spannend, dass am Ende des Projektes eine fertige Anlage steht. Da kann ich direkt das Ergebnis der harten Arbeit sehen. Außerdem mag ich es, dass man im Projektmanagement mit so vielen verschiedenen Leuten in Kontakt kommt und sich auf diese Weise ein Netzwerk aufbauen kann. Ob ich noch einen Master anschließen möchte, weiß ich noch nicht. Ich könnte mir vorstellen, meinen Bachelor abzuschließen und ein oder zwei Jahr zu arbeiten – gerne auch im Ausland, wenn GE mir die Möglichkeit bietet – und dann noch einen Master dranzuhängen.